Ein Jubiläum – 100 Jahre Border
Diese Überschrift ist insofern nicht richtig, als die Rasse älter als 100 Jahre ist, allerdings erfolgte die Namensgebung »Border« im Jahre 1890, so daß zumindestens hieraus das 100jährige Jubiläum seine Berechtigung hat. Der Border ist auf der britischen Insel im Laufe derzeit die absolute »Nummer 1« unter den gezüchteten und ausgestellten Kanarienrassen geworden, und ich werde versuchen, anläßlich des Jubiläums in diesem Beitrag einen Abriss der geschichtlichen Entwicklung und auch Informationen zum Schauwesen in England sowie zur Haltung und Zucht zu geben. Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, Ihnen diese interessante Positurrasse näherzubringen.
Lassen wir doch die historische Entwicklung des Borders Revue passieren.
Der Ursprung der Rasse liegt im Nebel, allerdings lassen Veröffentlichungen in den Cage & Aviary Birds aus dem Jahre 1902 die Vermutung zu, dass die Rasse ca. um 1830 entstanden ist. Gezüchtet wurden die Vögel in den englischen Grenzregionen Cumberland und Westmorland und in Schottland. Die Vögel wurden ursprünglich Common Canary genannt; als die Züchter in Cumberland die Rasse „Cumberland Fancy“ taufen wollten, erhoben die Schotten energisch Einspruch (da sie für sich in Anspruch nahmen, diese Rasse kreiert zu haben - was vermutlich auch der Wahrheit entspricht), und am 5.7.1890 wurde in Hawick eine Versammlung einberufen, die –zum Ziele haben sollte, einen Namen für die Rasse zu finden. Dies gelang und man verständigte sich auf den Namen »Border Fancy Canary« (englisch: border = Grenze). Gleichzeitig wurde auch der Grundstein für den »Border Fancy Canary Club« gelegt. 1891 wurde dann in Langholm ein Meeting veranstaltet, und anhand der besten Ausstellungsvögel der laufenden Schausaison wurde das Rassemodell festgelegt, welches auch viele Jahre Gültigkeit haben sollte. 1901 wurde bestimmt, dass die bei anderen Kanarienrassen übliche Rotfütterung für den Border nicht zugelassen werden sollte, und bei dieser Entscheidung ist es bis heute geblieben.
1939 wurde eine neue Modellzeichnung entwickelt, die dann 1967 durch ein drittes Modell ersetzt wurde. Letztendlich wurde dann 1985 der heutige, gültige Rassestandard festgelegt. Rückblickend kann gesagt werden, daß die Entwicklung der Rasse sehr stürmisch verlaufen ist, denn die Vögel aus der Gründerzeit (Bild 1) haben keine Ähnlichkeit mehr mit dem heutigen Rasse-Ideal (Bild 2). Aber nicht nur die Form hat sich sehr stark geändert, auch in der Größe fand eine enorme Entwicklung statt. Die Gründerväter nannten den Border »pigmy of the fancy« (Zwerg unter den Kanarienrassen) oder »wee gern« (Kleinod/kleine Kostbarkeit) und die Literatur dokumentiert, daß seit dem Zweiten Weltkrieg die Vögel immer größer wurden, so daß sie im Vergleich zu ihren Vorfahren eine »stattliche« Erscheinung geworden sind. Und hier haben wir auch die Schnittstelle zum Fife, denn der Fife ist nichts anderes als der »kleine Border«, den die schottischen Züchter, die unzufrieden mit dem neuen Bordertyp geworden waren, zu neuer Blüte gebracht haben. Heute erfreuen sich beide Rasse in England einer enormen Beliebtheit, was im besonderen durch die zahlreichen Spezialclubs, die vielen Rasseschauen und die immensen Beschickungszahlen auf der »National« bewiesen wird. Aber immer noch ist der Border im Vergleich zu seinem kleinen Bruder Fife in der Popularität weit vorne.
Aber nun drängt sich die Frage auf, was eigentlich für den Briten die Faszination des Borders ausmacht, Die Antwort ist einfach: Der Border ist der Vogel, der nach dem goldenen Schnitt gezüchtet ist, das heißt, er ist wohlproportioniert, elegant, rund, aus einem Guss. Der Brite unterscheidet sechs Anforderungen, die an einen Border zu stellen sind:
Typ: Hierunter wird die Form, die Umrisslinie verstanden. Auch müssen Kopf, Körper und Schwanz in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen (ausbalanciert sein).
Qualität: Der Vogel muss eine hervorragende Gefiederstruktur haben, alle Federn sollen gut in die Umrisslinie eingepasst sein.
Farbe: Die Farbe soll tief (reich) und gleichmäßig ausgeprägt sein.
Größe: Der Vogel soll 5 3/4 inch (14,5 Zentimeter) nicht überschreiten. (Anmerkung: Allerdings sind viele Spitzenvögel größer.)
Haltung: Border sollen eine aufrechte Haltung von ca. 60 Grad einnehmen.
Bewegung; Der Vogel soll sich im Ausstellungskäfig elegant bewegen, das heißt, wenn er von Stange zu Stange springt, soll der Bewegungsablauf harmonisch sein, der Vogel darf dabei nicht Flügel oder Schwanz herabhängen lassen.
Auch für mich war die Schönheit dieser Rasse das Entscheidende, und der Border hat mich bis zum heutigen Tage in seinen Bann gezogen. Ich kann mich noch gut an meinen ersten engeren Kontakt mit dem Border erinnern. 1973 besuchte ich eine von Paul Pütz in Düsseldorf organisierte internationale Ausstellung und mir gefiel außergewöhnlich gut eine von einem belgischen Züchter ausgestellte, nicht intensive, schwerbunte Borderhenne mit englischem Ring. Obwohl der Vogel in der Verkaufsklasse den ersten Platz mit 91 Punkten belegt hatte, fand er - wohl wegen seiner Scheckung - keinen Interessenten außer mir. Ich habe von dieser Henne nie auch nur ein befruchtetes Ei gehabt, aber dieser Vogel war mein Einstieg in die Borderzucht. In den nächsten Jahren habe ich dann regelmäßig die »National« in London besucht (siehe Bilder 3 und 4) und mir dort Zuchtmaterial besorgt und allmählich einen Zuchtstamm aufgebaut. Mittlerweile bestehen freundschaftliche Kontakte zu vielen englischen Züchtern, so daß ich mir dort regelmäßig fehlendes Zuchtmaterial beschaffen kann. Oftmals bekommt man, wenn man eine Freundschaft aufgebaut hat –was bei der englischen Mentalität nicht immer einfach ist -, bessere Tiere als die englischen Züchterkollegen.
Denn in England werden keine geschlossenen Fußringe, sondern in der Regel offene, farbige Plastikringe verwendet, und ein englischer Züchter kann jeden Vogel ausstellen, der sein Eigentum ist. Wenn ein englischer Züchter also Vögel an seinen Nachbarn verkauft, geht er das theoretische Risiko ein, daß dieser Vogel auf der nächsten Ausstellung seinen eigenen Vogel schlägt. Mittlerweile aber wird das Ringthema mit zunehmender Heftigkeit in den »Cagebirds« diskutiert, und ich glaube, daß man in den nächsten Jahren unser geschlossenes Fußringsystem übernehmen wird. Dies vor allen Dingen vor dem Hintergrund, daß es in England in der Regel Ausstellungsklassen für Jung- und Altvögel gibt.
Was mich bei unseren englischen Zuchtfreunden fasziniert, ist die Spezialisierung. Wenn man einen englischen Zuchtraum (Bild 5 zeigt eine typische Gartenanlage) betritt, so fällt auf, daß sich der Züchter in der Regel nur mit einer Rasse beschäftigt, wobei die Spezialisierung zum Teil so weit geht, daß man diese Rasse nur in einer Grundfarbe züchtet. Auch sind »Mammutanlagen« wie man sie bei uns häufiger sieht, selten (Bild 6 zeigt englische Zuchtkäfige), und die Jungen werden überwiegend in Flugkäfigen abgesetzt; Volieren sind kaum zu finden. Diese Flugkäfige haben den Vorteil, dass die Jungtiere engeren Kontakt mit dem Menschen haben, als dies in Volieren der Fall ist und dass auch ein frühzeitiges und einfacheres Training möglich wird. Nach der Zucht werden die Hennen ebenfalls in Gruppen in Flugkäfigen untergebracht, die Hähne werden dann einzeln abgesetzt.
Nun noch einige Bemerkungen zum Schauwesen. Ausstellungen in England sind von kurzer Dauer, zwischen Ein- und Auslieferung vergehen selten mehr als zwei Tage. Dies liegt natürlich am Plazierungssystem, weiches weniger zeitaufwendig als das DKB-Bewertungssystem ist. Hinzu kommt, zumindest ist das für die Rasse Border der Fall, dass der Preisrichter ein absoluter Borderspezialist ist, der sich (fast) ausschließlich mit dieser Rasse beschäftigt (Bild 7). Übrigens kann man in England auf Antrag Borderpreisrichter werden, wenn man diese Rasse mehrere Jahre mit Erfolg ausgestellt hat, eine separate Prüfung muss nicht abgelegt werden. Ein System, welches sicherlich Vorzüge hat!
Ausgestellt werde selbstverständlich nur Einzelvögel und zugelassen ist nur der allseitig offene Dewarkäfig, der mittlerweile auch bei uns (allerdings in der plumperen kontinentalen Version) verwendet wird. Nach der Bewertung werden die Siegervögel durch Rosetten (siehe Bild 8) gekennzeichnet, wobei bei Rassesiegern gelegentlich besonderer Aufwand (Bild 9) betrieben wird. Aber bei der Beschickung von - ich gehe einmal von einer durchschnittlichen regionalen offenen Ausstellung für Kanarien, Exoten, Wellensittichen und Einheimischen aus - 150 und mehr Bordern den Rassebesten zu machen, ist sicherlich eine anerkennenswerte, züchterische Leistung. Gewinnen kann man neben den üblichen Rosetten und Wanderpokalen Geldpreise, und mancher Züchter geht nach einer erfolgreichen Ausstellung mit einem netten Taschengeld nach Hause.
Überhaupt Geld: Das Hobby ist, was Körnerfutter und Aufzuchtmischungen angeht, bedeutend teurer als bei uns, was sicherlich auch der Grund für die zum Teil kleinen Zuchten sein mag. Die Preise für Border, die sich in der Vergangenheit immer in Grenzen gehalten haben, sind doch in den letzten Jahren leider ins Laufen gekommen. Statt zweistelliger Pfundbeträge muss man bei etablierten Züchtern dreistellige hinlegen, wobei man bei den Spitzenleuten (zum Beispiel Phil Warne, W. D. Thomas, Barnett & Chandler) auch noch, sofern man nicht »Insider« ist, jahrelange Wartezeiten hinnehmen muss.
Nun noch einige Bemerkungen zur Zucht, Haltung und Schautraining, In der Zucht ist der Border relativ unproblematisch, wenn auch von der, von alten Züchtern gerühmten Fruchtbarkeit Abstriche gemacht werden müssen, denn der Border hat mit zunehmender Größe und Selektion auf bestimmte Eigenschaften etwas von der ursprünglichen Zuchtkondition verloren. Aber hier gibt es in der Rassezucht (zum Beispiel die großen Kanarienrassen und die Schauwellensittiche) genügend Analogien. Wer in zwei Bruten einen Durchschnitt von sagen wir mal sieben bis neun Junge haben möchte, sollte statt Bordern eben Fife züchten.
Hohe Anforderungen sind, wie eingangs erwähnt, an die Farbe des Borders zu stellen. Eine gute, leuchtende Grundfarbe wird zum einen durch korrekte Verpaarungen und zum anderen durch gezielte Fütterung erreicht. Gelbgrundige Border sollten in der Mauserperiode nebenreichlich Sommerrübsen (Lutein) jeden Tag Grünes erhalten, wobei der Phantasie kaum Grenzen gesetzt sind. Es ist erstaunlich, wie viele dutzende Arten von Wildkräutern gereicht werden können. Ich erinnere mich hier an einen Besuch bei einem Züchterkollegen, der mir vorjammerte, dass er aufgrund einer längeren Hitzeperiode keine Vogelmiere mehr finden könne, nicht mehr wisse, was er nun füttern solle - während ein Blick in seinen Garten mir zeigte, dass dort in einer unbewirtschafteten Ecke Hirtentäschel, Kreuzkraut, Knöterich, Hundskamille etc. wuchsen, also alles Pflanzen, die der Border frisst. Er ist nicht wählerisch, auch Zitronenmelisse und Pfefferminze aus dem Garten werden gern verzehrt.
Ich habe seit Mitte des letzten Jahres dankenswerterweise von Dr. das Produkt »Bio-CC gelb« der Firma Biotropic für Versuchszwecke zur Verfügung gestellt bekommen, und ich muss sagen, dass es sich bezüglich der Ausfärbung meiner gelben Vögel positiv bemerkbar gemacht hat. Bio-CC wird über das Aufzucht- und Kondionsfutter verabreicht, so dass die bei den Rotprodukten gängige Trinkwasserpanscherei sich erübrigen kann. Ich werde, wenn meine Beobachtungen abgeschlossen sind, über meine Erfahrungen abschließend berichten.
Ich habe an dieser Stelle schon einmal davor gewarnt, dass man vorsichtig sein soll bei der Vergesellschaftung der Jungvögel, wenn man Vögel verschiedener Grundfarbe hat. Das plötzliche Zusammensetzen von Jungvögeln mit unterschiedlicher Grundfarbe kann zu panikartigem Verhalten führen, wobei Kopfverletzungen, Flügelbrüche und steife Hinterzehen die Folge sein können.
Das Schautraining sollte nach meiner Meinung nach Abschluss der Mauser erfolgen und es ist unumgänglich, den Vogel an den Schaukäfig zu gewöhnen und ihn in diesem heimisch zu machen, wenn man Ausstellungserfolge haben will. Wie Schautraining von statten zu gehen hat, ist schon häufig beschrieben worden, das möchte ich mir hier ersparen. Allerdings hapert es immer noch bei der Käfigausstattung; zwischen den Sitzstangen müssen, was häufig nicht beachtet wird, sechs freie Gitterstäbe liegen. Dies macht Sinn, denn nur bei einer gewissen Distanz zwischen den Stangen kann sich der Border elegant bewegen; zu weite Abstände verführen zu »Langstreckenflügen« und zu kurze Abstände zur »Hopserei«. Auch sollten die Stangen einen dem Borderfuß angemessenen Durchmesser haben.
Mit diesen Ratschlägen und den besten Wünschen für die Ausstellungssaison möchte ich schließen und hoffe, dass wir im Jubiläumsjahr viele gute und typische Vertreter der Rasse Border in unseren Schauen bewundern können
Literaturverzeichnis: Cage & Aviary Birds (verschiedene Jahrgänge); Kanarienfreund (verschiedene Jahrgänge); G. B. R. Walker & Denis Avon, Coloured, Type & Song Canaries; Ernest Howson, The Border Fancy Canary; Joe Bracegirdle, The Border Canary; Robert L. Wallace, The Canary Book; R. W. Bennett, Budgerigars Canaries and Foreign Finches; W. E. Brooks, Guide To Canary Breeding and Exhibiting; Hans Classen: Die Positurkanarien
Werner Kolter