Walter Lumsden - der Vater des Fife

Ich kann mich noch gut erinnern, weil es so ein eindrucksvolles Bild gewesen ist. Alexandra Palace, London, National 1973. Ein groß gewachsener Mann im schmucken schottischen Nationaldress hält einen Käfig mit einem kleinen braun-weißen Vogel hoch; dieser war gerade bester Kanarienvogel der National geworden. Dieser Erfolg war um so höher zu bewerten, da der Vogel - ein Fife - noch nicht einmal eine eigene Schauklasse hatte, sondern aus der Sammelschauklasse »Any other Variety (AOV)« kam und überall die etablierten Rassen Border, Yorkshire, Norwich, Gloster, Lizard etc. triumphiert hatte. Walter Lumsden, der Erzüchter des Fife, hatte mit diesem Erfolg der Rasse, die immer noch nicht die rechte Anerkennung gefunden hatte, endgültig zum Durchbruch verholfen.

Ich hatte vor einiger Zeit Kontakt zu Walter aufgenommen und wir hatten eine Zusammenkunft auf der Weltschau in Bocholt vereinbart, wo er mir noch Details für diesen Bericht geben wollte. Leider kam unser Treffen nicht zustande, weil ich kurzfristig nach England zur Beerdigung von June Harnett, der Ehefrau meines langjährigen Freundes Tish, fahren musste. Ein Vereinskollege hat mir dann das Foto von Walter mitgebracht und es zeigt ihn, der nun kurz vor der Vollendung seines 81. Lebensjahres steht, so wie ihn viele Zuchtfreunde kennen im Kilt.

Walter hat mir brieflich seinen Werdegang im Vogelhobby geschildert und ich habe diesen Bericht mit Informationen aus den »Cage & Aviary Birds« sowie weiterer Fachliteratur ergänzt.

Für Walter waren die Vögel, so schreibt er, von Kindesbeinen an ein Bestandteil seines Lebens. Als Junge war sein Hobby der Fang von einheimischen Körnerfressern, wie Hänfling, Grünfink, Zeisig, Dompfaff und Buchfink und im Jahre 1925, im Alter von 12 Jahren, schickte er seinen Hänfling zur Nationalschau nach London und gewann eine Klasse mit 60 Vögeln, was ihn mit großem Stolz erfüllte. Der gleiche Erfolg gelang ihm 1931 mit einem cinnamonfarbenen Sperling. 1950 beschloss er, nur noch Kanarien zu halten und zu züchten, da die Gesetzgebung dem Vogelfang ein Ende bereitet hatte. Er hat diese Entscheidung nie bedauert, da sich ihm die Kanarienzucht mit dem Kennenlernen der Vererbungslehre erschloß und dies letztendlich auch zur Erzüchtung des Fife Fancy führte.

Lediglich während des zweiten Weltkrieges war Walter ohne Vögel, da die Futterpreise ins Unermessliche gestiegen waren und dies für viele Leute die Aufgabe des Hobbys zur Folge hatte. Nach Kriegsende, als sich die Verhältnisse wieder normalisiert hatten, legte er sich einige Border zu. Aber in seinen Augen waren diese Vögel nicht mehr die Border, die er noch als »wee gern (kleine Kostbarkeit, Kleinod)« in Erinnerung hatte; sie waren größer und für ihn plumper geworden, was er auch auf die Einkreuzung auf Norwich zurückführte. Aus diesem Grunde entschied er sich, den Border wieder in die ursprüngliche Form »zurückzuzüchten«. Er besuchte in der Folgezeit viele Züchter, die nebenher Border in der Voliere züchteten und wo er noch kleine Exemplare bekommen konnte. Binnen drei Jahren hatte er die Vögel »kleiner gemacht«, aber sie waren nun vom Typ her wenig ansprechend, Walter vergleicht sie mit »Bleistiften«. Mit Nachdruck weist er darauf hin, dass er nie Gloster zur Einkreuzung verwendet hat. Dieses Gerücht entstand seinerzeit, da er nebenher immer einige Gloster gehalten hatte.

Weitere fünf Jahre verwendete er dann sein Hauptaugenmerk auf die Verbesserung des Typs. Von den Borderzüchtern dieser Zeit wurden diese Bemühungen mit Skepsis gesehen, da man die Erzüchtung des »Vorkriegsborders« als Rückschritt ansah und er sich manchem Spott ausgesetzt sah: »Hier kommt Walter mit seinen halb verhungerten Bordern«. Er aber prophezeite den Borderleuten schon damals, daß der kleine Vogel seinen großen Verwandten überholen wurde, was auch zwischenzeitlich insoweit eingetreten ist, als auf den letzten Nationals mehr Fife als Border ausgestellt wurden.

Nachdem die Vögel inzwischen in Größe und Form ansprechender geworden waren und auch einen gewissen Interessenkreis gefunden hatte, dachte Walter im Jahre 1957, dass nun die Zeit reif wäre, eine Organisation aufzubauen und einen Standard zu erstellen. Bis dahin konnten die Vögel nur in den AOV-Klassen ausgestellt werden und er wollte seinen Miniaturvögeln zu einem Anspruch als eigenständige Rasse verhelfen. Das Meeting, das in der Baker Hall in Kirkcaldy (Grafschaft Fife - hieraus ist auch der Taufname entlehnt) veranstaltet wurde, verlief enttäuschend, da nur fünf Züchter erschienen waren. Man verständigte sich aber, einen Club zu gründen, der den Namen »Fife Miniature Canary Club« erhalten sollte. 1958 wurde entschieden, das Wort »Miniature« fortfallen zu lassen; fortan hieß die Vereinigung »The Fife Fancy Canary Club«.

Die Mitgliederentwicklung ging langsam vonstatten, 1963/1964 hatte der Club 46 Mitglieder und war 1971 erst auf 51 angewachsen. In diesem Jahr wurde auch die Punkteskala geändert; für Größe waren bisher20 und für Kondition 10 Punkte vergeben worden, dies wurde, da man sich hiervon eine Qualitätsverbesserung in Richtung Größe versprach, in 25 Punkte für Größe und 5 für Kondition geändert.

Es gab auch Tendenzen, vom Border- bzw. Dewar-Käfig abzugehen und einen eigenen Käfig zu entwickeln. Diese Bemühungen wurden aber stets im Keim erstickt, weil zwischenzeitlich viele Borderzüchter zu den Fife übergewechselt waren und natürlich ein wirtschaftliches Interesse daran bestand, die alten Käfige weiter zu verwenden. Es wurde lediglich eine dünnere Sitzstange zugelassen sowie der Abstand zwischen den Sitzstangen auf 5 freie Stäbe (beim Border sind es 6) verringert.

Der finale Durchbruch für die Rasse Fife kam dann wie eingangs erwähnt im Jahre 1973, als W. und D. Lumsden - Walter hatte zusammen mit seinem Sohn David eine Zuchtgemeinschaft gebildet - den besten Kanarienvogel der Schau stellten und damit die Rasse endgültig ins Rampenlicht auf der Kanarienbühne rückte. In der Zwischenzeit hat der Fife einen gewaltigen Siegeszug angetreten und es muß für Walter eine tiefe innere Befriedigung gewesen sein, als er auf der letzten National den besten Fife stellen konnte - aber diesmal standen zirka 1400 Fife in Konkurrenz, die beschickungsmäßig ihre rassegeschichtliche älteren Kanarienverwandten weit in den Schatten gestellt hatten.

Nun noch einige Informationen zur Fife-Zucht der W. and D. Lumsden partnership. In der Regel werden 33 Zuchtpaare eingesetzt und der Zuchtbeginn wird von der Brutbereitschaft der Vögel abhängig gemacht, kann also zwischen Ende Februar und April variieren. Man legt großen Wert auf Grünfütterung und Löwenzahn wird (gewaschen) in großen Mengen verfüttert. Als Eifutter wird CeDe gegeben, worunter (für mich ein absolutes Novum) Rührei gemischt wird. Aber der Erfolg gibt ihnen Recht, da jedes Jahr weit über 100 Junge gezüchtet werden.

Ich hoffe, dass ich Walter einmal persönlich kennen lernen werde, aber allein aus dem Schriftwechsel mit ihm heraus bin ich sicher, dass er den Titel »Der große alte Mann des Fify Fancy« mit Recht trägt.

Zum Abschluss darf ich noch einen Hinweis in eigener Sache geben. Der Verein »Dompfaff Köln« wird in diesem Jahre anlässlich seines 20jährigen Jubiläums am 15./16. Oktober 1994 eine Internationale Offene Spezialschau für englische Positurkanarien veranstalten, zu der wir insgesamt neun englische Preisrichter, darunter drei Fife-Spezialisten, eingeladen haben, Nach den Erfahrungen der Vorjahre sind wir überzeugt, dass auch auf dieser Schau viel und gutes Anschauungsmaterial zu sehen sein wird.

Literaturhinweise: 1. CAGE & AVIARY Birds (verschiedene Jahrgänge), 2. AZ-Nachrichten (verschiedene Jahrgänge, 3. KANARIENFREUND (verschiedene Jahrgänge; 4. T Kelly/James B , THE FIFE CANARY, 5. G.B.R. Walker and Dennis Avon, COLOURED, TYPE AND SONG CANARIES, 6. Dr. Hans Claßen, DIE POSITURKANARIEN, 7. Klaus Speicher, KANARIEN KENNEN & PFLEGEN 120 Rassen - Gesang, Farben Positur.

Werner Kolter